Sonntag, 17. November 2013

Wenn einer eine Reise tut...

Die Zugfahrt war lang. Ich habe viel gemacht. Unter lautlosem Protest den Platz gewechselt, weil eine aufdringliche Lady mir permanent Gespräche draufdrücken wollte, einen Tisch verlassen, weil ein anderer "Bahnpatient"  lange, laut und  störend telefoniert hat. Ja, ich fühle mich oft als Patient, der von der Bahn von A nach B verschoben wird, mit Wartezeiten auf dem Gang, mit Stopps und Verspätungen beim Transport, mit  Enge, Lärm und einfach zuviel Mensch um mich herum. Der Sparpreis hat einfach seinen Preis - da darf ich leider nur gedämpft jammern.
Zur Ablenkung habe ich Unfug gemacht, habe selfies angefertigt. Sie wissen, was das ist, oder? Selbstprotraits mit dem Handy, die für Krämpfe im Arm sorgen, weil man ja permanent mit der Kamera vor sich selbst herumfuchtelt. Meine selfies habe ich mit einer tollen App gemacht, mit der man oder auch Frau aussehen kann wie Mona Lisa oder die Freiheitsstatue. Ich musste so kichern und prusten, dass auf einmal ich zum Störfaktor im Bahnabteil wurde. Hat mich auf einmal kalt gelassen. Warum nicht auch mal stören?

Und woher meine füllenhaftige Ausgelassenheit?
Die Fahrt ging in Deutschlands Hauptstadt. Freunde treffen, Stadtvibration tanken, Inspiration aufsaugen, schauen, kommunizieren, lecker essen.
Ja, ich weiß, eigentlich habe ich mich als Heimhockerle geoutet. Ja, aber halt nicht nur. Zwischendurch gibt's dann diese extensiven Ausbrüche. Deshalb gab es die letzen Wochen News aus Budapest, München, Paris und jetzt halt aus Berlin. Und nächste Woche von der Ostsee...danach kehrt Winter- und Weihnachtsruhe ein. 
Also jetzt Berlin. Da brennt die Luft. Und das schönste sind diese überraschenden Begegnungen. Zum Beispiel mit Anderson Robin. Er kommt aus New York, strahlt mit sensationell weißen Zähnen mit der Lafayettebeleuchtung um die Wette und schleppt unermüdlich englisch auf mich einredend tolle Klamotten in die Kabine, die mir super stehen, von denen ich aber manche in W. nicht tragen kann, ohne sofort von der Polizei kontrolliert zu werden.
Oder z.b Maxim aus Kasachstan, der mir in der coolen, oft bushido-besuchten versteckten Kaffeebar in der Knesebeckstrasse gegenübersitzt. Er hat drei Tage Urlaub und fliegt über Berlin nach München, nur um dort den fanshop von Bayern München zu besuchen!! Und dann wieder zurück zum Job. Das ist wahre Fan-Leidenschaft!
Ja, und dann war da noch meine Begegnung mit dem Australier Joshua nachts um halb zwei am S-Bahnausgang, mit dem ich erstmal per GPS den Savigny Platz gesucht habe und dann bis morgens um vier (!) in einer rauchgeschwängerten Bar versackt bin. Es gab so viel zu erzählen, zu politisieren. Ein intensiver, spritziger und interessanter one-Night-Talk. Ich weiß, dass er für zwei Jahre seiner Berliner Herkunft nachspüren will, gerne Fliege und kariertes Outfit samt Kappe trägt und sooo gerne in Berlin bleiben würde, aber seine Frau nicht. Das Problem konnte ich leider auch nach dem dritten Pils nicht lösen.
Da waren auch noch all die reizenden kleinen Talks, z.B. mit der aparten, herzlichen Rothaarigen an der Hotelrezeption, am Fahrkartenschalter von der S-Bahn mit dem kreditkartenkämpfenden Schweizer Paar und mit der spritzigen, engagierten Inhaberin mehrerer "Butiken" (Tatem), die aus einem Würzburger Vorort kommt!

Und das waren alles nur Nebenschauplätze, denn hinzukamen zwei großartige Abendevents. Der eine in Begleitung meiner Freundin U. bei Giovanni in der Pariser Straße ("Freni & Frizioni"). Er hat uns göttlich bekocht und ausdauernd den rose Prosecco nachgeschenkt. Das spritzige Gespräch mit dem am Nebentisch schmausenden, aus Sri Lanka stammenden, ehemaligen Musikmanager  von Marius Müller-Westerhagen (!)  war da unausweichlich.
Und das Abendessen in trauter Runde in einer der klassisch monumentalen Altbauwohnungen in Charlottenburg mit ebenso klassischem Rehbraten und ausdauernden Diskussionen und hitzigen Überlegungen zu einem Hilfsprojekt in Italien.

Ich bin übervoll mit Eindrücken, Erlebtem, Gesehenem, Gesagtem und Gehörtem. Und der Herr des Hauses ist glücklich. Weil ich still und stumm herumsitze.
Denn meine Tagesrationen an Wörtern habe ich alle in Berlin losgelassen und bin nun ziemlich friedlich, sonntagschillig und maulfaul.  Das hält die nächsten Tage an, hofft zumindest der Herr des Hauses. Ich lass´ihn erst mal in der Hoffnung. ;-)

Meine diesmalige Berlin-Fotostrecke, die bei jedem Berlinbesuch anders ausfällt:

1. what do you fancy love, Knesebeckstraße
- super leckere smoothies, toller Cappuccino und das Brot mit Avocadocreme macht fit für den Rest des Tages.


2. Sets in der Schlüterstraße
Zum frühstücken - alles bio. Unbedingt reservieren!

3. Lafayette: das Pflaumenbrot  an der Brottheke ist klasse. Anderson Robin verbreitet sein strahlendes Lachen im 3. Stock bei maje, Pariser Chic in Berlin.

4. Die Museumsinsel, beeindruckend! Alles auf einmal geht nicht, da muss man mit den Kräften haushalten und die Ausstellungen "einteilen"

5. laufen, laufen, laufen. Dann erspürt man Berlin.

6. Die jüdische Synagoge macht früh zu und man wird ziemlich unwirsch daraufhingewiesen.

7. s-Bahn Tagesticket für 6,70€ macht Sinn, wenn die Füße schlapp machen. Die Distanz Berlin Mitte und Charlottenburg lässt sich so staulos easy bewältigen.

8. am Stuttgarter Platz gibt es ein marrokanisches Geschäft mit wunderbarer Keramik.



Ich beginne mit Überlegungen, was ich alles im Koffer lassen soll... für den nächste Woche anstehenden Ostseeevent.
Doch mein Kopf streikt... der ist noch im Berlin Verarbeitungsmodus, sollte vor neuer Planung deshalb erstmal in den "empty-box-modus" fallen.

Also: Füße hoch, Welt am Sonntag vor die Nase und grünen Tee aus Japan in die Tasse!

Gegrüßt am ruhigen Sonntag mit grauem Himmel! 

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