Dienstag, 22. Oktober 2013

Gundel und Tögmak

Nein, Sie liegen völlig falsch!
Gundel und Tögmak sind keine neue Paarung in der Sesamstraße!
(Wie man überhaupt Gundel und Tökmag eher selten zusammen antreffen wird...)

Aber der Reihe nach.
Am Mittwochabend haben der Herr des Hauses und ich beschlossen, dass wir Donnerstag abends die Kühlschrankreste futtern, die Mülleimer leeren, zwei Köfferchen packen und dann am Freitag ganz früh um 6.00 Uhr losfahren würden. Wir lieben nämlich spontane Entschlüsse und tuen uns ziemlich schwer eine 3 Wochenplanung auf die Biene zu stellen.
Also gesagt getan. Wir sind freitags zwar erst um 8.00 Uhr losgekommen, aber das war irgendwie genau richtig: keine Staus, kaum Verkehr und schon am Nachmittag haben wir den ersten Palatschinken gegessen.
Ja, so ist das mit Europa. Mal schnell ein Käffchen in Holland trinken? Kein Problem. Mal in Straßburg Maroni knuspern, aber gerne! Mal nach Budapest düsen, weil das schon so lange auf dem Programm stand: einfach losfahren! Kein Zinnober mit Papieren oder Zoll. Dank Schengener Abkommen rauscht man ganz einfach von Deutschland durch Österreich nach Ungarn und kein Uniformierter hält einen auf. Wir sind einfach nur so hineingerutscht ins Land der Ungarn! Eben noch hier - schwups waren wir da.
Gestört haben bei der Fahrt nur Fledermäuse vernichtenden Windparks und die endlos hässlichen Solarfelder an der Autobahn, die so trostlos die Natur verschandeln. Aber angeblich entstehen da beiderseits der Autobahnen neue Biotope. Auch unter den Solarpaneelen. Ja, Sie haben richtig gehört: BIOTOPE. Die Autoreifen sind nämlich in den Profilen mit wunderbaren Sämereien aus aller Herren Länder bespickt, die sich nun an den Rändern unserer deutschen Autobahnen gütlich tun an Streusalz, Abgasen und Schmutzwasser. Dieser Mix scheint den Pflanzen zu bekommen, Spezialisten entdecken täglich neue Pflänzchen, die sich inzwischen bei uns in Germanien recht heimisch fühlen. Das hat sich herumgesprochen: auch die Rehe sind nicht mehr im Wald anzutreffen, im wahrsten Sinne des Wortes.  Das Bambi äst jetzt nämlich lieber gefahrlos am Straßenrand der Autobahn, als an des Waldes Saum. Sollte sich das weiter in der Tierwelt herumsprechen, sollte die Epigenetik hier kraftvoll durchschlagen, dann können die Männer im grünen Gewand schon mal ihre Werkzeuge einmotten.

Ja, also Budapest.
Da haben der Herrn des Hauses und ich bei wunderbarem Sonnenschein in einem Kaffehaus im Freien (Ende Oktober!) erst mal die maroden Geschichtskenntnisse wieder aufgefrischt. Kaiserin Sissi - unvergessen Romy Schneider und der schmucke Karl-Heinz Böhm -, Paprika, Gulasch, die Kettenbrücke, Türkenbelagerung, Beginn der Wiedervereinigung durch Aufnahme von DDR Flüchtlingen 1989. Das waren so die ersten rudimentären Stichworte, die wir uns beim Cappuccino zuwarfen. Irgendwie ist Ungarn nicht ganz so präsent, stelle ich erschrocken fest.
Das Ungarn mal von der Ostsee bis ans Ende von Kroatien reichte und eine riesige Fläche ausmachte? Das Siebenbürgen unter der Türkenherrschaft ein eigenes Fürstentum blieb? Das der Zigeunerfürst Arpad 9 oder 10 Stämme in und zu Ungarn zusammenführte? Dass die Kettenbrücke deshalb erbaut wurde, weil der Brückenkonstrukteur über eine Woche auf eine Flußüberfahrt warten musste, um an der Beerdigung seines Vaters teilzunehmen? Das Gundel ein spezieller ungarischer Pfannkuchen ist  und tögmak einfach Kürbiskern heißt? Viele neue Erkenntnisse und altes Wissen - reanimiert.
So ist das, wenn wir wegfahren. Wir tauchen dann gerne ein in unsere Umgebung, die Geschichte, wälzen Bücher und Wikipedia, fragen die Menschen - so sie uns verstehen - Löcher in den Bauch.
So erfahren wir dann auch, dass in Budapest das durchschnittliche Einkommen bei 500 € liegt, der freundliche Fremdenführer 1,70 E pro Stunde verdient, aber fast 600€ im Semester an Gebühren an seine Universität zahlen muss.
Wir erfahren, dass es in dieser prachtvollen Stadt mit den imposanten Gebäuden viele Leerstände gibt, weil die Menschen sich die Wohnungen nicht leisten können und die Kaufkraft nicht ausreicht für all die  Nobelmarken, die deshalb vielerorts wieder den Rückzug angetreten haben. Die Innenstadt ist in weiten Teilen mit Läden bestückt, die inzwischen in allen Großstädten anzutreffen sind, was mich unendlich langweilt. Aber es gibt auch die kleinen Gässchen mit Stoffdesignern und anderen Kleinod-Lädchen. Man muss zwar etwas suche, kann dann aber fündig werden.
Wenn ich im Großen und Ganzen vergleiche: die Erfurter Innenstadt erscheint mir "fertig saniert", was für Budapest sicher nicht gilt.
Das hat allerdings auch einen besonderen Effekt. Die Stadt fühlt sich in manchen Straßen und Gassen und Parks so"gelebt" an, wissen Sie was ich meine? Da ist nicht alles aufgefrischt und auf dem neusten Stand, sondern in den Gassen weht die "gelebte und erlebte Luft". Ich kann das förmlich riechen. Die Zeitreise ist teilweise fast zum Greifen nah.
Beinahe klang es nach türkischem Säbelrasseln und Kutschengeräuschen!
Kaiserin Sissi in natura wäre eine echte Überraschung gewesen...

Aber es gab reale Überraschungen in Form von wunderbaren Restaurants, Jazz Musik und einem sehr entspannten Lebensstil. Es wird viel gelacht, die Kaffehauskultur wird hochgehalten - die Törtchen  sind optisch und kulinarisch ein Genuss. Bewundernswert ist die Architektur: die imposante Straßenzüge, unbeschreiblich schmuckvollen Gebäude, die Markthalle. Und dann die breite und träge Donau, die grandiosen Brücken, das viele Grün in den Straßen, die artenreichen Parks, die volksmusikalischen Straßenmusiker und die freundlichen Menschen:


Budapest ist eine Reise wert!






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